WM Vilamoura – eine persönliche Note
(cdn) Leider hat uns in den letzten Tagen in Vilamoura das Internet verlassen. Pressefrau Birgitt hat mit den mageren Informationen, die per sms ankamen, einen erstaunlich ausführlichen Bericht verfasst. Aber wir wollen natürlich noch ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, wie es uns an den letzten beiden Finaltagen und im Teamrace ergangen ist.
Das Beste gleich am Anfang: wir sind Vizeweltmeister in der Teamwertung geworden!
Mit 4 Seglern unter den Top25 der Welt kann eine Medaille auch nicht ausbleiben. Für die Goldmedaille fehlten uns sage und schreibe nur 8 Punkte – bei 11 Wettfahrten ist das ja ein Hauch von Nichts! Ich bin unglaublich stolz auf diese 5 Kerle, die – jeder für sich und auch miteinander – ihre persönlichen Hürden überwunden und zu manch wunderbaren Höhenflügen gefunden haben!
Im Einzelnen:
nachdem Adrian grandios in die Finalwettfahrten eingestiegen ist, wird der zweite Finaltag für ihn schwieriger. Fast müßig zu erwähnen, dass auch er nun zu zaghaft startet, die Wettfahrten aus dem hinteren Mittelfeld kämpfen muss. Mit einem 17. und einem 48. Platz rutscht er ordentlich nach hinten – der Streicher war ja schon mit seiner Frühstart-Disqualifikation vergeben. Wer in der Situation schon einmal war, erkennt das Elend wieder, in dem Adrian sich am letzten Tag befindet.

Die Freude über seine Leistung kam bei Adrian erst später
Er kommt von hoch oben, hat sich die ganze Serie lang in den Top10 befunden. Abrutschen ist immer viel bitterer und mental schwerer abzufedern, als von hinten aufzuholen. Am letzten Tag weiß er also, dass er sich nichts mehr leisten kann und nur noch ein grandioser Platz die Serie so zu Ende bringt, wie sie angefangen hat. Er lernt aus dem Vortag, lässt sich an der Startlinie nicht mehr foppen und kämpft wie ein Löwe. Er wird tatsächlich 6. – Hurra!!! Und oh nein: wieder eine Disqualifikation wegen Frühstart. Adrian versteht das nicht, alle über ihm in Luv waren doch viel weiter vorn und sind nicht disqualifiziert? Eigentlich des Nachfragens und langen Wartens müde, schleppt er sich doch durch die mühsame Prozedur des Antrages auf Einsicht in die Startprotokolle. Und leider ja: im Protokoll des Leebootes steht er eindeutig auf der Liste. Der Chef-Wettfahrtleiter tut sich beim Erklären auch schwer, gibt zu, dass Adrian hier schon wirklich Pech hat. Er wurde von Lee erkannt, hat aber die Boote in Luv über ihm verdeckt. Adrian Pech, der luvwärtige Pulk Glück. Wir erfahren noch, dass bei einem Frühstart – anders als im bürgerlichen Recht – die Unschuldsvermutung nicht greift. Adrian ist schon schuldig gesprochen und muss nun beweisen, dass er es nicht ist. Ein Beweis wäre, wenn der Trainer mit Video fest verankert in der Peilung liegt. Mit allem Respekt: die Beweisführung sparen wir uns, denn Trainer sind in der Startlinienpeilung gar nicht erlaubt. Mit einer wutheulenden Teamleaderin ist Adrian auch nicht gedient, also bewahren wir Contenance und bedanken uns höflich. Es bleibt Platz 25 im Gesamtklassement und die Gewissheit, dass Adrian ein „First-Row-Fighter“ ist – O-Ton Regattaleitung. Und nur „First-Row-Fighter“ schaffen Medaillen – wenn nicht hier, dann ein anderes Mal. Hätte-hätte-Fahrradkette…aber ohne die beiden BFDs hätte Adrian Bronze gewonnen. Nur mal so heimlich nachgerechnet. Und tatsächlich: kurz, bevor wir den Heimweg antreten, dämmert zwischen all der BFD-Enttäuschung auch Adrian, dass er eigentlich ganz schön krass heftig gut gesegelt ist…

Alles hat ein Ende – auch ein Tag auf dem Wasser
Leo beendet seine erste Weltmeisterschaft auf dem insgesamt 73. Rang, als 9. in der Silberfleet. Dabei segelt er sein bestes Ergebnis am letzten Tag und zeigt, wo der mühsame Weg aus dem Tal der Tränen hinführen kann – nur nach oben. Leo war ein Lotto-Gewinn für das Team, und das, obwohl er nicht im Entferntesten das erreicht hat, was er erreichen wollte. Miesepetrige Laune wegen der verpassten Goldlfleet hat er nur einen Tag gelten lassen und war dann wieder voll da. Ich bin mittlerweile auch nicht mehr so sicher, ob eine Einteilung in Finalgruppen bei Jüngstenseglern so der Weisheit letzter Schluss ist. Damit sind einfach alle Möglichkeiten für die verbleibenden Tage der Meisterschaft begrenzt und mit dem Wissen sich bis in die Haarspitzen zu motivieren, ist schon eine harte Nummer. Ohne Leo dazu befragt zu haben, stelle ich einfach mal die Vermutung auf: Leo hätte sicherlich einen deutlich besseren Platz segeln können, als nun in der Ergebnisliste steht. Aber das, was Leo hier erlebt und überwunden hat, mehr wert als ein toller Platz in der Goldfleet. Mögen alle, die schon in seiner Situation waren und wieder kommen werden, nicht greinen sondern ebenfalls den Weg nach oben finden. Ein Seglerleben ist sooo viel länger als eine Regatta, auch wenn sie WM heißt…
Auch Roko durchlitt ein gefühlt gewaltiges Tief, als nach dem ersten Finaltag seine Medaillenträume in weite Ferne gerückt schienen. Letztendlich ist er im Endergebnis aber nur 14 Punkte von der Bronzemedaille entfernt – auch dieses ein Hauch von Nichts.

Roko wird insgesamt 7.
Hätte man den Seglern und Seglerinnen nicht die letzte Wettfahrt „geklaut“ – die Thermik schlief zwar ein, aber der Landwind setzte unmittelbar danach ein; eine Wettfahrt wäre durchaus möglich gewesen, wenn nicht die Gewinnerehrung der Einzelwertung so früh auf dem Programm gestanden hätte – so wäre Roko wohl noch weiter nach vorne gesegelt. Mit einem 7., einem 11. und einem 3. Platz in den letzten Wettfahrten landet er insgesamt in den Top10 auf Rang 7. Über die ganze Serie mit ihren Höhen- und Tiefflügen ist das eine erstaunliche Leistung. Es macht Freude, ihm beim Segeln zuzuschauen, auch wenn ich nur einmal beim Test-Event in den Genuss kam. Wie ein Aal windet er sich aus misslichen Situation und scheint den freien Wind mitten im Gewühl zu riechen. Notfalls 23x wenden, um sich zu befreien, irgendwo wird die Lücke kommen. Und weil man sich sein Glück mit Eifer verdient, ist Roko auch oft früher frei als andere.
Viele gute Segler machen das so, und unterm Strich segeln tatsächlich nur die konstant gut, die immer und in jeder Situation ihr Bestes geben. Es kam einmal die berechtigte Frage auf:“Warum segelt der besser als ich, obwohl er die Füße über Bord baumeln lässt?!“ Lasst Euch von uns alten Knackern gesagt sein: das ist dann unverdientes Glück! Erfolgreich und vor allem zufrieden mit sich selbst sind die, die kämpfen, immer und in jeder Situation. „Heute habe ich aufgegeben“, äußerte auch einmal einer unserer Mannen auf dieser WM. Ja, das passiert und ist verständlich. Manchmal ist der Akku einfach alle. Aber der Wettkampf ist nicht verloren, wenn ein Rennen daneben geht. Manchmal ist es gut, den Akku zu schonen und im neuen Versuch wieder voll anzugreifen.

Vali wird insgesamt 16.
Wie zum Beispiel Valentin, der erst mitten in der Serie den „An“-Schalter (O-Ton) fand. Am zweiten Finaltag haut er einen 5. und einen 3. Rang raus und ist steil auf dem Weg in die Top10. Am letzten Tag ist seine Anspannung und seine volle Konzentration fast zum Anfassen. Die erste Tageswettfahrt läuft aber nicht nach Geschmack. Woran das im Einzelnen gelegen hat, wollte keiner mehr so recht nachbohren. Denn die Enttäuschung, dass keine zweite Tageswettfahrt mehr stattfindet und der große Traum von DER Weltmeisterschaft geplatzt ist, sitzt offensichtlich sehr tief. Aber kennzeichnend für Valentin – so habe ich ihn auf dieser Weltmeisterschaft kennengelernt – ist, dass er keine große Sache aus seiner Enttäuschung macht. Er nimmt sich seine Zeit, zieht seine Schlüsse, sauber und bündig, und ist dann wieder da, lacht und schaut auf die nächsten Dinge, die da kommen. Diese WM war sein Ziel, daran gab es nichts zu rütteln. Seine gesteckten Ziele hat er nicht an die große Glocke gehängt, aber wer seine Ergebnisse der letzten Jahre und dieser Saison verfolgt hat, erkennt unschwer, was alles möglich gewesen wäre. Und erkennt zweifellos, was in der Zukunft alles möglich sein wird. Ich ziehe meinen Hut in mehreren Hinsichten!

Erste WM Platz 24 – frei im Geist!
Das tue ich ebenfalls vor unserem jüngsten Teilnehmer, Kristian. Unsere Frohnatur wusste sich anfangs wohl selbst nicht so recht einzuordnen, bekam dann aber den Geschmack zu packen und legte jeden Tag einen drauf. Mit dem 11. und 5. Rang am vorletzten Tag mischt er kräftig vorne in der Weltspitze der Optimisten mit. Zusammen mit Adrian kassiert er am letzten Tag leider eine Frühstart-Disqualifikation und landet damit „nur“ auf einem 24. Platz insgesamt. Unglaublich! Frei, freier, Krissi!

Helena Wolff (ganz rechts) gewinnt Silber in der Mädchenwertung
Wer ebenfalls einen tiefen Knicks verdient, ist unsere Vizeweltmeisterin Helena Wolff. Mit einem 22. Platz in der Gesamtwertung erhielt sie die Silbermedaille in der Mädchenwertung. Auch wenn sie die Medaille offiziell unter dänischer Flagge ersegelt hat, so freuen wir uns doch auch aus deutscher Sicht massig mit ihr, sie „gehört“ ja auch ein bisschen uns 😉
Wer bis hier mitgerechnet hat, weiß es schon: der Weltmeistertitel in der Teamwertung war für das deutsche Team zum Greifen nahe. Die 8 Punkte, die uns vom Weltmeister Amerika trennen, wären an so vielen Stellen drin gewesen. Und deswegen – ich wurde schon für verrückt erklärt – freue ich mich so für unsere Jungs und ihre Leistungen! Nicht der Plätze wegen, sondern weil es für jeden Einzelnen in diversen Situationen wirklich nicht einfach war, und weil es im Opti einfach auch mal hammerhart ist, sich in so einem großen Feld zu behaupten. Und immer wieder hat jeder Einzelne sein „Ich-kann-nicht-mehr-ich-mag-nicht-mehr“-Teufelchen von der Schulter gejagt und Vollgas gegeben. Wie vielen von Euch allen geht es nicht auch so da draußen auf dem Wasser? Manchmal mag man einfach nicht mehr, aber weiterkämpfen lohnt! Wirklich wahr!
Und dann noch das Teamrace…da haben sie eine Woche lang ohne Pause gewartet, gebraten, sich motiviert, sich konzentriert, sich verausgabt und alles probiert – und dann geht es direkt weiter am nächsten Tag, und das auch noch eine halbe Stund früher als sonst. Entspannung? Freuen? Feiern? Ja, alles gern kurz antesten, aber dann ins Bett! Pfft, also da waren sich viele Teamleader einig, dass das einfach keine gute Planung ist. Aber unsere Mannen hauen am ersten Teamrace-Tag 2 Siege in Folge raus. Am zweiten Tag geht es auf dem Wasser mit dem Siegen weiter; an Land schwitzen und bangen wir, haben eine Standleitung zu Trainer Riky und jubeln mit jedem Sieg. Und als wir es vor Spannung nicht mehr aushalten und auf dem Tracker mitschauen, geht es schief: wir unterliegen den Italienern. Ist das zu glauben? Gibt´s doch nicht! Also entweder, weil wir auf dem Tracker mitgeguckt haben, oder weil wir nicht im Fußball UND im Teamrace gegen Italien gewinnen können… einer der beiden Gründe war es eindeutig!
Zu guter Letzt werden im Anschluss – ohne Pause – gleich noch die Boote an diesem Tag verpackt. Auch das gehört dazu – Segeln ist ein Verpackungssport. Danach endlich ein kühlendes, extrem leckeres Eis, danach eine doch etwas maue Preisverteilung, danach aber eine sehr gelungene Abschlussfeier, auf der sich endlich alle Kinder aller Länder austauschen, lachen, feiern, T-shirts tauschen und was Vernünftiges essen können. Aber tatsächlich ist einfach kaum noch Energie zum Feiern da, zu lang war die Woche, zu lang dieser letzte Tag!
Leider sind aber unsere Taschen noch nicht gepackt – wer packt denn auch Taschen, wenn das Teamrace noch volle Konzentration verlangt? Und so springen unsere 5 noch um 22.30 Uhr in den Pool – „ich schlaf sonst ein beim Packen“ – und mühen sich dann, 3 Wochen Leben in einen Koffer zu pressen.
Mittlerweile hat uns das „echte“ Leben wieder – Familie, Schule, Arbeit. Das Erlebte aus Portugal wird uns beibleiben, und jeden Tag werden wir uns an eine andere kleine Besonderheit erinnern, die vielleicht plötzlich hochploppt. Deswegen war es eine Reise wert.
Dank Euch, Adrian, Krissi, Leo, Valentin und Roko!
Ein besonderer Dank an dieser Stelle an Chiara Steinmüller, unserer Co-Trainerin. Chiara war die gute Seele im Team, hatte immer ein offenes Ohr, einen guten Tipp, eine Engelsgeduld und eine herzliche Laune – und das alles ohne Honorar!
Dank auch an alle Leser, die – hoffentlich mit Interesse, ein paar Schmunzlern und Genegenheit – unsere Berichte gelesen haben.
Teamleader Christiane